O’zapft is – Hin und zurück
München

O’zapft is

Oktoberfest

Eigentlich verabscheue ich mich schon selbst wegen der Überschrift. Aber was muss, das muss. Der Ausnahmezustand in München hat wieder begonnen. Ich gebe zu: Ich bin ein großer Oktoberfest Fan und seit ich vier Jahre alt bin habe ich keine Wiesn mehr verpasst. Und auch dieses Jahr werde ich ein Wochenende mitnehmen. Auch wenn sich die Wiesn in den letzten Jahren ganz schön verändert hat (und nicht zwingend zum besseren) freu ich mich wie jedes Jahr auf die erste Maß.

Riesenrad auf der WiesnWas ich an der Wiesn immer geliebt habe

Früher war die Wiesn für mich der Ort an dem ich Freunde und Bekannte getroffen habe. Ich habe jahrelang Hockey gespielt, in München ist die Hockeyfamilie ziemlich klein und man kennt sich. Und jedes Jahr zur Wiesn wusste man genau wo man hin muss um mit den anderen Hockeyspielern ein Bier zu trinken und zu quatschen. Ich hab Leute getroffen die ich ein Jahr lang nicht gesehen hab und jedes Jahr zur Wiesn am gleichen Tag zur gleichen Zeit wieder im gleichen Zelt getroffen habe. Der Sonntagnachmittag war die tollste Zeit für einen Wiesn-Besuch. Viele Touristen haben sich schon wieder auf den Heimweg gemacht und man konnte ganz gemütlich zu jeder Uhrzeit in fast jedes Zelt gehen. 2000 als ich Abi machte war ich jeden Tag auf der Wiesn und hab eine Menge Geld dort gelassen aber auch jede Menge Spaß gehabt. Man wusste als Münchner in welchem Zelt sich welche Leute aufhalten und man konnte sich oft genug einfach dazu gesellen.

Während meiner Studentenzeit musste ich meistens am 1. Oktober Hausarbeiten abgeben. Hat für einige durchgearbeitete Nächte gesorgt, da ich sonst oft nicht rechtzeitig fertig geworden wäre, weil ich Ende September häufig auf der Wiesn war. Als ich bei Yahoo! in München gearbeitet habe hatte ich dann einen klaren Standortvorteil. Von meinem Büro zur Theresienwiese waren es gerade mal fünf Gehminuten. Und wir haben oft Wiesn-Mittagstisch gemacht. Wenn man durch die Münchner Büros lief sah man einen Großteil der Kollegen in Tracht. Ich fand das immer super.

Apropos Tracht: in meiner Jugend war es eigentlich nicht üblich in Tracht auf die Wiesn zu gehen. Zumindest nicht für uns jüngere „Städter“. Mein erstes Mal auf der Wiesn im Dirndl (mal abgesehen von der Kinderzeit, da hat Muttern mich bestimmt mal in ein Kinderdirndl gesteckt) war ich mit etwa 20. Damals habe ich mir ein Second-Hand-Waschdirndl gekauft und hab sowohl Einkauf als auch das Ausgehen darin zelebriert. Im Lauf der Jahre sind dann ein paar dazugekommen und als Münchner braucht man natürlich auch ein etwas schickeres (und damit leider auch teureres) für diverse Hochzeits-Sonntagsbrunchs und Geburtstage. Mittlerweile hab ich noch 4 Dirndl übrig aber eigentlich immer das gleiche an. Blusen kann man nie genug haben. Und ein vernünftiges Paar Schuhe gehören auch dazu. Letztes Jahr musste ich mich leider meiner entledigen. 5 Wiesn-Jahre haben ihnen endgültig den Rest gegeben.

In der OchsenbratereiWir wussten in welches Zelt welches Klientel von Leuten geht. Im Schottenhamel war junges Publikum unterwegs. Jung war dabei für uns so um die zwanzig, vielleicht Anfang zwanzig. Die Ochsenbraterei ist düster und hier sind eher ältere Leuten gewesen. Die Fischer-Vroni ganz ähnlich. Da war ich vor drei Jahren das erste Mal. Im Hippodrom sind die, die sich für prominent halten und auch der ein oder andere, der das wirklich ist. Im Weinzelt die, die sich für wichtig halten. Klarer Pluspunkt des Weinzelts ist, dass es länger auf hat als die anderen. In Käfers-Wiesnschänke waren vor allem immer die Ärzte-Kinder in durchgestylter Tracht und auch der eine oder andere Promi, der auf Einladung kam. Und jede Menge Möchtegern-Promis. Das Hacker-Zelt war nicht schlecht. Innen sehr schön und die Menschen-Mischung war eigentlich auch immer sehr angenehm. Mit dem Armbrustschützenzelt wurde ich aus irgendeinem Grund nie richtig warm. Eigentlich bin ich da immer nur hin gegangen wenn ich von irgendwem Marken hatte. Das war auch immer spannend. Irgendwie bekam man immer noch jemandem Marken. Ich weiß nicht genau wie das entstand und selten woher die wirklich kamen. Das Löwenbräuzelt finde ich komisch kalt. Atmosphärisch, keine Ahnung warum. In die Bräurosl ging es immer am Anstich, zumindest nachmittags, da traf sich Hockeymünchen. Die Schützenfesthalle mochte ich schon immer. Ein kleines Zelt in dem ich schon früh das erste Mal war. Und dann das Hofbräuzelt. Eine echte Katastrophe. Für mich schon immer genauso wie die Wiesn klischeehaft in „investigativen“ Sendungen auf RTLII und Co. dargestellt wird. Australier, Neuseeländer, Engländer und Amis, die das Bier nicht vertragen und schon früh am Vormittag keine Kontrolle mehr über sich haben. Irgendjemand scheint Touristen zu erzählen, dass man Frauen auf der Wiesn generell, im Dirndl aber besonders ungestraft angrapschen darf. Die einzigen Ohrfeigen die ich in meinem Leben je vergeben hab waren auf der Wiesn im Hofbräuzelt. Etliche Firmenveranstaltung und Hockeyturnierwiesnbesuche fanden für mich im Hofbräuzelt statt. Nicht schön. Das Problem ist nämlich: man kann da ganz gut für größere Gruppen reservieren. Macht scheinbar sonst keiner.

Überhaupt: früher waren Zelte auch mal zu. Mal. Freitag abends zum Beispiel. Oder auch mal am Anstich. Zugegeben, früher wurden die Zelte auch deutlich voller gemacht, das war auch nicht gerade angenehm. Aber in der Regel kam man in ein Zelt rein. Manchmal musste man etwas warten. Und manchmal doch auch auf ein anderes Zelt ausweichen. Das ging dann aber zumindest. In eines seiner bevorzugten Zelte kam man schon rein. Wir kannten Bedienungen und Securities. Nicht weil wir es drauf angelegt hätten, es hat sich einfach über die Jahre so ergeben. Und wenn man nett und freundlich zur Bedienung war hat die beim nächsten Besuch dafür gesorgt, dass man noch ein Platzerl in ihrem Bereich bekommt. Und wir waren immer nett und freundlich weil das nämlich ein echter Scheißjob ist. Kotzhügel WiesnEin gut bezahlter zwar aber trotzdem ein Scheißjob. Und man auch mal Verständnis haben kann wenn der Nachschub ein bisschen dauert oder die Bedienung schlecht gelaunt ist. Was sie erstaunlich selten waren. Wir wussten, dass man sich vom Kotzhügel hinter den Zelten fern halten muss. Und jeder meine Freunde sagte, wenn er einmal auf einer Krankentrage mit einem gelben Aufsatz drum rum wegtransportiert werden müsse weil er zu voll ist würde er nie wieder auf die Wiesn gehen. Wir waren im Teufelsrad, ich war mal 6 Stunden dort weil es so lustig war. Und natürlich beim Schichtl. Wir sind natürlich nicht an der Haltestelle Theresienwiese ausgestiegen, das haben nur Touristen gemacht. Wir sind zum Goetheplatz oder zur Hackerbrücke gefahren und sind dann mit dem kleinem Strom anderer Wissender Richtung Wiesn geschlendert. Wir haben uns vom Goetheplatz kommend stundenlang vor den Toboggan gestellt und uns bepisst vor Lachen über die anderen. Ich selbst bin nicht ein einziges Mal rauf.

Was ich an der Wiesn nicht mehr mag

Hackerbrücke während der WiesnIch will gar nicht in das „Früher-war-alles-besser“-Horn stoßen. Das war es meistens nicht. Vielleicht hab auch ich mich verändert. Oder meine Wahrnehmung. Jedenfalls gibt es einiges an der Wiesn was mir nicht mehr gefällt. Dieses Jahr wäre ich beinahe nicht hingefahren. Ich wohne ja nun seit 4 1/2 Jahren nicht mehr in München und hab es trotzdem immer mindestens ein Wochenende auf die Wiesn geschafft. Eher mehr. Dieses Jahr hab ich nicht damit geplant. Jetzt hat es sich doch ergeben und ich werde am letzten Wochenende draußen sein und ich freu mich auch drauf. Aber ich hätte auch damit leben können, wenn es nicht gepasst hätte. Und ich hab mir Gedanken darüber gemacht warum das so ist.
Die Menschenmassen werden von Jahr zu Jahr unerträglicher. Mittlerweile hat man am Wochenende keine realistische Chance am Nachmittag noch in ein Zelt seiner Wahl zu kommen. Selbst der Sonntag ist eine Katastrophe. Die Zelte werden früher geschlossen was angenehm ist wenn man drin ist. Aber dass Zelte selbst unter der Woche wegen Überfüllung geschlossen werden ist fast schon skurill. Und es macht keinen Unterschied mehr von wo aus man sich Richtung Wiesn auf macht. Die Haltestellen Goetheplatz und Hackerbrücke sind mittlerweile fast genauso überfüllt wie die Theresienwiese. Die Zelte die früher ein Geheimtipp waren sind das heute nicht mehr. Die Leute werden immer aggressiver, eben weil sie teilweise von sehr weit kommen und dann auch nicht in die Zelte gelassen werden.
Die Berichterstattung über die Wiesn suggeriert, dass es hier wie am Ballermann zugeht. Und zwar überall und alle Besucher auch auf Ballermann-Unterhaltung und -Niveau aus sind. Anfassen, anbaggern und um die Ecke verschwinden sind kein Problem. Wollen doch sowieso alle hier. In der Berichterstattung von mäßig seriösen Fernsehsendern wirkt die Wiesn immer wie ein großes niveauloses Besäufnis und Rumgemache. Es steckt aber viel mehr dahinter und auch etwas ganz anderes. Zumindest wenn man weiß beziehungsweise wusste wie man dem entgehen kann. Durch die Berichterstattung werden aber natürlich genau die Leute angezogen die zu dieser Niveaulosigkeit beitragen.
Oide WiesnAusziehen, saufen, kotzen, grapschen, pöbeln und prügeln, das ist die Botschaft die über die Wiesn nach außen dringt. Und das gefällt mir überhaupt nicht. Man muss schon froh sein wenn man überhaupt in ein Zelt kommt. Andere Leute, Bekannte und Freunde in den diversen Zelten zu treffen und zu besuchen kann man vergessen. Letztes Jahr hatte ich am letzten Sonntag noch ein paar Marken über. Ich bin noch nicht mal bis zum Biergarten des Schützenzelts gekommen und auch nicht ins Hofbräu um die Marken gegen Hendl und Bier einzutauschen. Ich bin dann in Bodos Weinzelt und hab für 9,50 Euro einen Hugo getrunken.
Und Tracht: die Wiesn ist kein Fasching. Ich bin jetzt auch nicht gerade vom Land und hab mit Dirndl und Lederhosen auf dem Feld oder in der Waschküche gearbeitet. Aber ich betrachte die Tracht nicht als Verkleidung. Was viele auch nicht zu wissen scheinen: man MUSS keine Tracht tragen. Und die Krätze krieg ich, wenn ich von Leuten höre die in einen Karnevalsladen gehen um sich ein Dirndl auszuleihen. Ich zieh ja auch kein Fischerhemd an und eine Fischermütze auf wenn ich auf die Kieler Wochen gehe. Ich würde mir albern vorkommen, aber auf der Wiesn scheint das was anderes zu sein. Ich hab schon die merkwürdigsten Kombinationen von Lederhosen, Fake-Shirts, Espandrillos, Turnschuhen und viel zu kurzen Dirndl (wir nennen die übrigens Nutten-Dirndl) gesehen, dass ich ernsthaft überlege selber wieder auf Jeans und Shirt umzusteigen. Daran wird man bald die Einheimischen erkennen. Hamburg-Bubis, die letztes Jahr mit mir im Flieger saßen und dachten ihr Ralph Lauren Hemd wäre schon ein Trachtenhemd nur weil es Rot-Weiss kariert ist.
Leute gehen auf „den Wiesen“ einen trinken und ich könnte heulen was daraus geworden ist. Ich hoffe die Partymassen finden irgendwann eine andere Großveranstaltung und bin bis dahin gar nicht traurig, wenn die Preise immer unrealistischer und skurriler werden. Vielleicht hält das die Massen bald ab. Und ich hoffe, dass es bald wieder gemütlicher auf der Wiesn wird und ziehe mich bis dahin in Geheimtipps zurück. Und hoffe, dass sich die Oide Wiesn bald durchsetzt.

über

Diplom-Soziologin, Produktmanager, Certified ScrumMaster und DiveMaster. In Hamburg zu Hause, in München dahoam. Mehr zu mir gibts hier.

1 Kommentar

  1. Nachtrag: Meine Mutter hat mich nie gezwungen als Kind ein Dirndl zu tragen! Zumindest nicht auf der Wiesn. Und gezwungen wurde ich generell nie zu etwas. Und in Klamotten gesteckt die ich nicht wollte auch nicht.
    Ich hab das noch mal überprüft.

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